Escapismus 2017

Im Zuge meiner reichlichen Lebens- und Arbeits-Experimente gab es ja jetzt die CoWorking-Phase. Von vornherein war’s nicht so einfach, etwas zu finden, das nicht nur dafür da ist, sich gemeinsam zu beweihräuchern. Ein anderer Cowork-Space schreckte mich sofort ab, weil er einfach nur die neue Auflage des alten Großraumbüros darstellte.

Mal ’n Tipp:

Wenn Du Dich da als Ex–Konzernangestellter einbuchst, dann hat Dein Hirn nur ziemlich wenig Chancen, zu einem neuen Mindset zu finden.

CoWorkSpaces zu testen zeigte vor allem das:

Alle Welt scheint auf Krampf den „Startup“-Spirit leben zu wollen – und jetzt aber spätestens wirklich!

Der „Startup Spirit“ darf dabei auch als Ausrede herhalten für alle möglichen Arten von Nicht-Professionalismus – das macht es sehr bequem für die ‚Veranstalter‘ – es ist so ein bißchen wie Berlin früher: Automatisch toll, weil es halt Berlin bzw. Startup-Welt IST. Mitten in dem halbgaren Gewerkel laufen dann überhöht viele Menschen mit so einer Art inneren Erleuchtung rum… denn: Das Leben als Digital Nomad hat ja fast schon begonnen, es gilt ja nur noch, sich mit dem Laptop auf der Strandliege bereitzulegen und auf den herunterrauschenden Geldsack zu warten. :))

Als Mensch, der schon in den 2000er Jahren die Szenerie aus der Nähe mit bekommen hatte und nun bereits über 10 Jahre selbständig oder Unternehmer oder wie auch immer man das nennen will, ist… hab‘ ich da nur eins im Kopf:

Nein, im Startup ist die Welt nicht immer rosarot

Inzwischen gibt es internationale Anbieter (und es geht mir nicht darum, diese oder andere per se schlecht zu machen), die angeblich Menschen vor dieser „schlimmen Büro-Welt retten“ wollen.

Aber mal im Ernst:

Das Leben als Freelancer oder im Startup rettet nicht per se die Welt.

Plötzlich hast Du nicht nur Deinen inhaltlichen Job, sondern musst auch noch vermarkten was Du tust, damit Du es auch in ein paar Jahren noch tun kannst.

Alles, aber auch alles hängt an Dir und Deiner Arbeitskraft.

Du hast noch nicht mal mehr den Luxus, Dich darüber zu beschweren, dass Dein Kollege Deine Urlaubsvertretung nicht ernst genug nimmt, denn es gibt gar keine Vertretung.

Da gibt es immer und überall Dich. Nur Dich.

(all das gilt in Kleinteams meist auch noch lange)

Auch wenn man sich selbst richtig gern mag, kann das ein bisschen einseitig werden, oder?

Sich selbst trifft man doch recht häufig am Tag und in der Woche.

Was wir nicht verwechseln sollten:

Es geht nicht per se darum, NICHT in einem Konzern oder einem etablierten Unternehmen oder einem Startup zu arbeiten.

Es geht darum, eine Arbeit und damit Aufgaben im Leben zu finden, die etwas mit Dir und dem, was Du gut beitragen kannst, zu tun haben.

Menschen sind irrsinnig unterschiedlich.

Naturgemäß verteilen sich die Typen auch ein wenig – und in dem Foursight-Modell zum Beispiel ist sehr gut abgebildet, dass nicht jeder ein Early Stage-Mensch ist – und es auch nicht sein muss!

Mit der bescheuerten Startup-Manie werden viel zu viele Menschen in diese Aufbau-Situationen gedrängt, die

  • damit wirklich nichts anfangen können,
  • denen es schwer fällt, in einer so schwammigen und unsicheren Situation gut beizutragen
  • und/oder denen das eben überhaupt nicht gut tut.

Wir brauchen Menschen, die aufbauen.

Wir brauchen auch Menschen, die Vorhandenes verbessern.

Und wir brauchen Menschen, die gern Bestehendes pflegen und bewahren.

Wir brauchen wie in einem gescheit durchmischten Garten all diese Sorten – und nicht nur eine.

Menschen bleiben Menschen – auch im Kleinen und im Gutmensch-Bereich

Escapen zu kleinen Teams und Unternehmen

Überleg doch mal: Im kleinen Gebilde hast Du vielleicht mehr Team-Spirit, aber auch mehr Gruppenzwang. Wenn Dir das Umfeld da nicht mehr taugt, musst Du gleich das ganze Unternehmen wechseln. Bist Du in einem größeren Gebilde reicht es vielleicht, den Bereich und das Thema zu wechseln. Das ist SCHON deutlich sicherer. Und wenn Dir Sicherheit wichtig ist… na, ist doch ok.

Escapen ins NGO

Menschen sind auch nicht per se gutmenschiger, bloß weil sie in einem NGO oder „in etwas mit Sinn“ arbeiten. Nach wie vor geht es um Eitelkeiten, Status, Macht – hier vielleicht nicht so sehr in Form des Firmenwagens aber darin, wer wo mehr Sichtbarkeit oder Budget für seine Themen bekommt.

Bitte bitte bitte, lasst Euch nicht davon kriegen:

Das Leben ist nicht plötzlich rosarot, bloß weil man sich aus dem ‚bösen Konzern‘ raus begibt.

Arbeit bleibt immer Arbeit. Arbeit ist aber besser, wenn sie uns liegt – und wir sollten schauen, dass das der Fall ist.

Aber auch dann: Ein gutes Leben wird auch immer ein unbequemes Leben sein und es ist nicht per se bequemer, weil  es in einem kleineren Umfeld passiert.

[themify_quote]Unterm Strich ist die so große Sehnsucht nach mehr Sinn, mehr Ich-Sein, mehr Kreativität etc. ein gefundenes Fressen v.a. für diejenigen, die darüber eine Art modernen Ablasshandel treiben.[/themify_quote]

Viel hilft viel – v.a. beim für hirnbalsamierende Seminare ausgegebenen Geld. Nur wenn es richtig kostet, kann es was könnenn und wenn der Mensch dahinter richtig wichtig tut. Wenn ich Menschen sage, es sei einfach und günstig, nein sogar kostenlos, sich besser zu fühlen im Leben, dann…. wird man angeschaut, als sei man sehr dubios (schon passiert, wirklich).

Profitieren tun außerdem auch die Startups, die sich an Arbeitszeiten o.ä. natürlich nicht mehr gebunden fühlen (nichts in dem Sinne Neues – das war schon früher so – und das liegt wahrscheinlich auch in der Natur der Sache).

Profitieren tun clevere Unternehmen, die, NEIN WIE ERSTAUNLICH, kein Non-Profit- (auch wenn sie FAST so auftreten) sondern ein Profit-Unternehmen führen und genauso wenig wie in den nächtlichen Infomercials die teuren Seminare anbieten, WEIL sie Dich SO lieben haben, SONDERN vor allem, weil sie Geld damit machen können und Du sie lässt.

Es führt kein Weg dran vorbei, mit sich selbst ehrlich ins Gebet zu gehen, sich selbst zu fordern, es sich selbst unbequem zu machen, immer wieder eine unabhängige Meinung zu bilden, was Dir gut tut (denn nur Du kannst es ja wissen).

Alles Lohnende braucht Zeit, viel mehr Zeit und mehr Aufwand und es ist ok und es muss ok sein.

Und sonst ist es im übrigen auch allerfeinstens ein sehr normales und meinetwegen völlig durchschnittliches und Startup-freies Leben zu führen, solange eins zutrifft:

Dass Du mit Dir im Reinen bist.

[Bild (von mir leicht nachbearbeitet) von StevePB – danke!]

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